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Funktioniert die transformationale Führung in der Produktion?

In industriellen Kontexten ist Führung häufig noch von Kontrolle, Effizienz und klaren Hierarchien geprägt. Doch der gesellschaftliche und technologische Wandel stellt dieses Paradigma zunehmend infrage. Kann transformationale Führung, ein Konzept aus der Managementforschung, das auf Inspiration, Vertrauen und Sinnstiftung setzt, auch in der Produktion wirksam werden? 

Andreas Blaut, Geschäftsführer der EPS – Electronic Products and Systems GmbH, hat hierzu eine klare Meinung: „Transformationale Führung hat ihren Ursprung in kreativen und akademischen Umfeldern, jedoch ist sie keinesfalls darauf beschränkt. Jeder Mensch – gleich welchen Bildungsweges, welcher Hierarchieebene und welchen Arbeitskontextes – verfügt über kreatives Potenzial und die Fähigkeit, einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens zu leisten. Hierbei geht es nicht nur um kognitive Intelligenz, sondern ebenso um emotionale und soziale Kompetenz. Ein positives und wertschätzendes Menschenbild erkennt diese Vielschichtigkeit an und ermöglicht es, Menschen zu befähigen und sie durch Inspiration und Vertrauen zu Höchstleistungen zu führen. So werden sie zum unverzichtbaren Motor eines nachhaltigen, erfolgreichen und resilienten Unternehmens. Auch dort, wo standardisierte Abläufe dominieren, brauchen wir eine Führung, die den Menschen sieht und befähigt. Transformationale Führung ist keine Modeerscheinung, sondern eine Notwendigkeit, wenn man ein motiviertes und engagiertes Arbeitsumfeld haben und erfolgreich sein will.“ 

Transformationale Führung im industriellen Spannungsfeld 

transformationale führung

Transformationale Führung basiert auf vier Dimensionen: idealisiertes Verhalten, inspirierende Motivation, intellektuelle Stimulierung und individuelle Berücksichtigung. Diese Prinzipien stehen auf den ersten Blick im Kontrast zur Praxis industrieller Fertigung: Schichtarbeit, Taktung, geringe Entscheidungsspielräume und hohe Effizienzanforderungen lassen wenig Raum für weiche Führungsaspekte. Doch bei genauer Betrachtung eröffnet sich gerade hier Potenzial. 

„Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen und Werkzeuge zu verteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das bekannte Zitat von Seneca beschreibt präzise, welche Kraft eine klare Vision und Sinnhaftigkeit im Arbeitsumfeld entfalten können. Gerade in der Produktion, wo Effizienz und Struktur wichtige Werte sind, braucht es Menschen, die durch eine gemeinsame Orientierung und das Verständnis für den übergeordneten Zweck motiviert werden. Nur wer den Sinn der eigenen Aufgabe erkennt, kann Verantwortung übernehmen und durch Kreativität und Leidenschaft zum Erfolg des Ganzen beitragen. 

andreas blaut eps

© Andreas Blaut, EPS

„Wenn wir von Führung in der Produktion sprechen, denken viele an Anweisungen und Kontrolle. Doch unsere Erfahrung zeigt: Wo wir Vertrauen geben, entsteht Eigenverantwortung – und das verbessert nicht nur die Stimmung und somit auch die Effizienz, sondern auch die Qualität“, erklärt Andreas Blaut. Bei EPS wurden gezielt mit Hilfe der Team- und Abteilungsleiter transformative Elemente in ihre tägliche Arbeit integrieren. Das Ergebnis: höhere Identifikation, sinkende Fluktuation, höhere Mitarbeiterzufriedenheit, höhere Einsatzbereitschaft. 

Studien belegen diesen Trend. In Unternehmen mit transformationalem Führungsverständnis berichten Mitarbeitende von höherem Engagement und größerer Identifikation. Gerade in monotonen oder sicherheitskritischen Bereichen hilft die Vermittlung eines übergeordneten Sinns, Motivation aufrechtzuerhalten. Dabei muss das Konzept nicht dogmatisch angewandt werden. Vielmehr zeigt sich, dass hybride Führungsansätze – eine Kombination aus klarer Struktur und partizipativer Kultur – besonders effektiv sind. 

Die Rolle von HR und Leadership Development 

Transformation gelingt nicht per Dekret. Es braucht gezielte Unterstützung durch HR-Abteilungen, die Führungskräfte nicht nur schulen, sondern auch langfristig begleiten. Bei EPS ist dieser Prozess eng mit der strategischen Unternehmensentwicklung verzahnt. „Wir haben erkannt, dass technische Exzellenz allein nicht ausreicht. Unsere Führungskräfte müssen Kulturträger sein – und das erfordert Kompetenzen, die in klassischen Trainings oft zu kurz kommen“, so Blaut. 

Dazu gehört auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zum aktiven Zuhören und zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven. Formate wie kollegiale Beratung oder Coaching auf Augenhöhe gewinnen in produzierenden Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Geschäftsführung und HR werden dabei zum Katalysator: Es orchestriert nicht nur Maßnahmen, sondern schafft eine Infrastruktur für nachhaltige Lern- und Veränderungsprozesse. 

Grenzen und Gestaltungsspielräume 

Natürlich stößt transformationale Führung auch an Grenzen. Strikte Vorgaben, normierte Prozesse oder sicherheitsrelevante Standards lassen wenig Spielraum für Experimente. Doch gerade hier gilt es, kreativ zu denken. Die persönliche Ansprache, das gemeinsame Reflektieren von Zielen oder das bewusste Einholen von Feedback sind keine Ressourcenfrage – sondern eine Frage der Haltung. 

„Führung in der Produktion darf nicht länger als reiner Durchsetzerbetrieb verstanden werden. Sie ist ein Ort der Beziehungsgestaltung“, sagt Andreas Blaut. Der Erfolg von EPS zeigt, dass es möglich ist, neue Wege zu gehen – ohne Effizienz oder Sicherheit zu gefährden. Ganz im Gegenteil sollen und werden gerade diese Aspekte durch die kreativen Lösungen der Mitarbeiter entscheidend verbessert. Entscheidend ist der Mut zur Veränderung und die Bereitschaft, Führung neu zu denken. 

Ausblick: Menschzentrierte Produktion als Zukunftsmodell 

Industrie 5.0 stellt den Menschen wieder ins Zentrum technologischer Entwicklung. Damit gewinnt auch die Art der Führung eine neue Bedeutung. Transformationale Führung bietet hier einen Rahmen, der sich nicht nur auf White-Collar-Bereiche beschränkt. Richtig verstanden und angewandt, kann sie in der Produktion zu mehr Resilienz, Motivation und Innovationsfähigkeit führen. 

„Wir stehen am Anfang eines kulturellen Wandels“, bilanziert Andreas Blaut. „Wer jetzt in die Entwicklung seiner Führungskräfte investiert, wird langfristig produktiver, stabiler und attraktiver für Talente sein.“ Für HR-Verantwortliche bedeutet das: nicht nur Trainings organisieren, sondern eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung etablieren. 

Die Produktion der Zukunft ist nicht nur automatisiert – sie ist auch empathisch, reflektiert und lernbereit. Transformationale Führung ist dabei kein Allheilmittel, aber ein wirksames Instrument im Werkzeugkasten einer modernen, wertschätzenden, auf Individuen eingehenden und menschenzentrierten Industrie. 

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