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Schluss mit der Geheimniskrämerei: Warum die EU jetzt auf Transparenz bei Gehältern setzt und wie Unternehmen zukünftig agieren müssen

Die Ära der verschwiegenen Gehaltsstrukturen nähert sich ihrem Ende. Mit der bis Juni 2026 durch die Mitgliedstaaten umzusetzenden Entgelttransparenzrichtlinie hat die EU einen Wandel eingeleitet, der sowohl prozessuale Abläufe als auch Unternehmenskulturen grundlegend verändern kann.

Einige Unternehmen stehen der notwendigen Veränderung skeptisch gegenüber, andere erkennen die historische Chance, die sich bietet. Eines steht fest: Passivität ist keine Option.

Offenheit wird Pflicht: Die Anforderungen der EU

Die neue Richtlinie verfolgt ein klares Ziel: Geschlechterspezifische Entgeltunterschiede für gleiche beziehungsweise gleichwertige Arbeit sind zu beseitigen. Arbeitgeber sind daher zukünftig dazu verpflichtet, das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne einer Position spätestens vor einem Bewerbungsgespräch offenzulegen, etwa in einer Stellenanzeige. Auch werden dann Fragen wie „Was verdienen Sie aktuell?“ zum Tabu – sie dürfen nicht mehr gestellt werden.

„Das Thema wird zum Teil massiv unterschätzt“, warnt Olaf Schaefer, Vorstand der HR Recruitment & Interim AG. Denn um auskunfts- und berichtsfähig im Sinne der Richtlinie zu sein, müssen eine ganze Reihe an vorbereitenden Maßnahmen durchgeführt werden: Je nach Ausgangslage kann dies die Ordnung der zugrunde liegenden Datenbasis, die Einführung einer Job-Architektur, Investitionen in IT-Systeme oder die Verhandlung von entsprechenden Regelungen mit dem Betriebsrat betreffen.

Was definitiv alle Unternehmen betreffen wird, ist die intensive Auseinandersetzung mit einer neuen Offenheit von Vergütungsstrukturen und tatsächlich gezahlten Vergütungen sowie deren Kommunikation.

Ein kultureller Wandel: Die unterschätzte Dimension

Ein kultureller Wandel: Die unterschätzte Dimension

Auf den ersten Blick mag die Richtlinie wie eine weitere bürokratische Hürde erscheinen. Doch Schaefer betont: „Es geht um einen deutlich tiefergreifenden Wandel im Umgang mit Entgelten, was im Besonderen auch die Führungs- und Kommunikationskultur betreffen wird.“

So stehen Personalabteilungen und Führungskräfte künftig vor der Aufgabe, ihre Einstufungs- und Gehaltsentscheidungen fundierter als bisher zu erklären und auf kritische Fragen wie „Warum verdiene ich weniger als meine Kollegen in derselben Position?“ faktisch korrekt, schlüssig und im Idealfall motivierend zu antworten.

Ohne nachvollziehbare Argumente drohen nicht nur Unzufriedenheit und erhöhte Fluktuation innerhalb der Belegschaft, sondern gegebenenfalls auch schmerzhafte rechtliche Konsequenzen.

Wichtig im Kontext mit dem Wandel ist daher neben der Bereitstellung der notwendigen Transparenz auch eine neue Herangehensweise im Umgang mit angrenzenden Themen wie Feedback, Leistungsbewertung, Potenzialeinschätzung oder Personalentwicklung.

Offenheit als Wettbewerbsvorteil

Eine neue Transparenz bei Gehaltsthemen bietet daher erhebliche Chancen. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels wird eine faire und offene Gehaltspolitik zu einem entscheidenden Faktor für Unternehmen, die sich im Wettbewerb um die besten Talente behaupten wollen. Sie stärkt das Vertrauen von Bewerbenden und Mitarbeitenden und macht Arbeitgeber damit insgesamt attraktiver.

Internationale Vorbilder, beispielsweise Großbritannien oder Österreich, zeigen, wie Offenheit bei den Entgelten zur Normalität werden kann. Darüber hinaus gilt, dass die Abarbeitung der notwendigen Maßnahmen je nach Ausgangslage und organisatorischer Komplexität enorm umfangreichen Aufwand mit sich bringen wird.

„Unternehmen, die frühzeitig handeln, sichern sich auch deshalb klare Vorteile“, erklärt Schaefer. „Wer hingegen zögert, läuft nicht nur Gefahr, die zwingend erforderlichen Hausaufgaben zu spät zu erledigen, sondern darüber hinaus auch den Anschluss im ‚War for Talents‘ zu verlieren.“

Was HR jetzt leisten muss: Die Säulen einer erfolgreichen Umsetzung

Was HR jetzt leisten muss: Die Säulen einer erfolgreichen Umsetzung

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verlangt von Unternehmen neben juristischen und formalen Veränderungen auch einen strategischen Wandel, der vielerorts tief in Datenverwaltung, Prozesse, Systeme und Unternehmenskulturen eingreift. HR-Abteilungen übernehmen dabei eine zentrale Rolle und sollten sich auf vier Hauptbereiche konzentrieren:

1. Datenbereinigung, Datenanalysen und solide IT als wesentliche Grundlage

Eine umfassende Bereinigung der Datenbasis und die anschließende Analyse der bestehenden Gehaltsstrukturen ist der erste Schritt. Insofern muss geprüft werden, ob die bestehenden Vergütungsregelungen konsequent und konsistent angewandt werden und die zugrundeliegenden Daten nicht nur vorliegen, sondern für eine Analyse überhaupt geeignet oder womöglich erst aufzubereiten sind.

Für die Zukunft ist eine zentrale Datenverwaltung zur Sicherstellung höchstmöglicher Datenqualität ebenso empfehlenswert, wie ein spezielles IT-System für die Abbildung und Verwaltung von Stellen- und Vergütungsstrukturen und deren Analyse, wovon es am Markt so einige für günstiges Geld gibt.

„Ohne eine hochqualitative Datenbasis und leistungsfähige IT können Sie weder die notwendigen Analysen fahren noch Transparenz schaffen und sind schon gar nicht in der Lage, aufkommende Fragen überzeugend zu beantworten.“, betont Schaefer. Eine solche Analyse erfordert, dass Faktoren wie Entgelt, Geschlecht, Position, Einstufung, Standort und Erfahrung berücksichtigt und miteinander in Beziehung gesetzt werden.

Die Ergebnisse dienen einer internen Klarheit über eventuell notwendige Adjustierungen und unterstützen datenbasierte Entscheidungen sowie Kommunikation. Daraus entsteht auch eine optimale Grundlage für eine externe Berichterstattung, die die Richtlinie fordert.

2. Change-Strategie als Schlüssel zur Akzeptanz

Die Einführung von Transparenzregeln wird mancherorts mit Widerständen konfrontiert sein – sei es bei den Geschäftsführungen respektive Personalabteilungen, die ihre Vergütungspraxis jetzt offenlegen müssen, und zwar gerade auch für die Mitarbeiterhierarchien, bei denen man bisher sehr frei agieren konnte.

Auch Führungskräfte werden bisherige Freiheiten verlieren oder in ganz neue Kontexte gezwungen. Mitarbeitende können die Neuerungen nutzen und anfangen, (mehr) Klarheit hinsichtlich der Einordnung ihres Entgelts und dann auch ihrer Entwicklungsmöglichkeiten einzufordern.

„Es reicht nicht, einfach neue Vorgaben im stillen Kämmerlein vorzubereiten und dann bekanntzugeben.“, so Schaefer. Empfehlenswert kann eine mehrstufige Change-Strategie sein:

  • Entscheidungsebene: Unternehmensleitung und Führungskräfte müssen zu den neuen Rahmenbedingungen abgeholt werden; eventuell erforderliche Grundsatzentscheidungen sind zu fällen.
  • Umsetzungsebene: Die notwendigen Maßnahmen, beispielhaft bezüglich Datenstrukturen, Prozessen, Systemen und / oder Betriebsvereinbarungen, sind aufzugleisen. Daraus können je nach Ausgangslage und Komplexität der Strukturen sehr umfangreiche Projekte entstehen, die entsprechende Fachexpertise benötigen.
  • Dialogebene: Führungskräfte benötigen Schulungen, um souverän über Gehaltsthemen zu diskutieren und fundierte Antworten geben zu können. Zudem sind sie in ihrer Fähigkeit zu stärken, ihre Teams durch die Nutzung der meist bereits zur Verfügung stehenden HR-Instrumente in ihrer Entwicklung zu fördern. Dabei sind Mitarbeitende klar, proaktiv und auf Augenhöhe abzuholen. Hierbei sollte balanciert auf die Chancen und Herausforderungen, die Gehaltstransparenz für alle Beteiligten mit sich bringt, eingegangen werden.

3. Feedback und Leistungsbeurteilung nachschärfen

Transparenz endet nicht beim Wissen darüber, was Mitarbeitende in gleichen oder vergleichbaren Jobs verdienen.

„Hier liegt die eigentliche Herausforderung“, sagt Schaefer. „Führungskräfte sind gut beraten, bei der Leistungsbeurteilung konsequent zu differenzieren und ihre Bewertungen transparent und ressourcenorientiert mit Blick auf Entwicklungspotenziale zu kommunizieren.“

Viele Unternehmenskulturen hinken ebendort trotz großer Bemühungen hinterher: Feedback zu Leistung, Verhalten und Entwicklungschancen wird entweder gar nicht gegeben oder bleibt aus falscher Motivation heraus – nett sein, niemandem weh tun, Harmonie sichern – zu vage und damit im Kern wirkungslos, um als akzeptable Grundlage für Gehaltsentscheidungen zu dienen.

Oder es herrscht die so enorm leistungsbehindernde Auffassung vor, dass “nicht gemeckert” schon “gelobt genug” sei und für die Entwicklung der Mitarbeitenden schließlich die Personalabteilung zuständig ist.

Der Nachholbedarf liegt daher oft gar nicht darin, dass HR-Abteilungen die notwendigen Standards und Instrumente dafür nicht geschaffen hätten. Die gibt es oft sehr wohl – doch entweder wurden sie nicht gut verstanden oder schlecht vermarktet.

Hier bietet sich die große Chance, einschlägige HR-Produkte, die ja nichts anderes als das Ziel haben, die Organisation in der Erbringung der bestmöglichen Leistung zu unterstützen, gegenüber dem internen Kunden nochmals mit anderen Prämissen anzubieten.

4. Die Unternehmenskultur aktiv gestalten

Die Einführung von Gehaltstransparenz ist deswegen nicht nur ein technisch-regulativer Prozess – sie erfordert ein gewisses Maß an kulturellem Wandel. Organisationen, die bisher undurchsichtige Vergütungspraktiken angewandt haben oder über starke Praktiken verfügen, welche jedoch in der Kommunikation nicht ausreichend transparent waren, müssen künftig eine neue Offenheit etablieren. Sie sollten damit so schnell wie möglich beginnen, damit eine zu hohe Belastung der für die Umsetzung Verantwortlichen vor Fristablauf vermieden wird.

„Offenheit muss von der Führungsebene vorgelebt werden und sie wird auch hier wieder kompetente Unterstützung seitens des HR-Bereiches benötigen“, betont Schaefer. Workshops und Diskussionsrunden können dabei helfen, eine neue Transparenzkultur zu etablieren.

HR und Führungskräfte nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein, indem sie die notwendigen Informationen strukturiert zur Verfügung stellen (HR), als Vorbilder agieren und den Wandel glaubhaft kommunizieren (Führungskräfte).

Die Stunde der Wahrheit: Fort- oder Rückschritt?

Die Entgelttransparenzrichtlinie markiert einen bedeutenden Schritt in der europäischen Arbeitswelt. Unternehmen riskieren finanzielle Einbußen ebenso wie einen massiven Vertrauensverlust bei ihren Mitarbeitenden sowie Nachteile im Kampf um Fachkräfte, wenn sie die notwendigen Maßnahmen verschlafen.

„Jetzt ist der Moment, die Weichen zu stellen“, resümiert Schaefer. Offenheit und Fairness sind keine kurzlebigen Trends, sondern die Grundlage einer zukunftsfähigen Unternehmenskultur. Die entscheidende Frage ist daher nicht das Ob, sondern das Wie und das Wann einer Umsetzung von neuer Transparenz!

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