Seit dem Start von ChatGPT verändert sich die Arbeitswelt täglich mit großem Tempo. Erfolgsentscheidend wird es jetzt für Unternehmen und die einzelnen Beschäftigten, sich die großen Vorteile der neuen Technologie zunutze zu machen – ohne in Risikofallen zu tappen.
Entgegen der vorherrschenden Meinung beweisen deutsche Konzerne und Mittelständler echte Sprinterqualitäten in der Anwendung künstlicher Intelligenz. Ein Großteil der Unternehmen setzt bereits KI-basierte Chatbots für Geschäftsanwendungen ein. Dies bestätigt die Studie „ChatGPT & Co. im Arbeitsalltag“, welche das ZEW Mannheim im November 2023 unter rund 1.500 deutschen Unternehmen durchgeführt hat.
Chatbots werden zum neuen Standard in deutschen Firmen
Die Studie zeigte, dass mittelfristig mehr als die Hälfte der befragten Firmen KI-Sprachmodelle einsetzen will. „In rund 45 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft nutzt aktuell zumindest ein Teil der Beschäftigten KI-Sprachmodelle für die Arbeit. Im Verarbeitenden Gewerbe sind es 28 Prozent. In zahlreichen Unternehmen etabliert sich ChatGPT und Co. also derzeit im Arbeitsalltag. Für die kommenden zwei Jahre rechnen die Unternehmen außerdem mit einem starken Anstieg der Nutzung generativer KI“, fasste Dr. Daniel Erdsiek, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Digitale Ökonomie“, die Ergebnisse im späten Herbst vergangenen Jahres zusammen.
Für die Jahre 2024 und 2025 rechnen 55 Prozent der befragten Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe mit dem Einsatz von KI-Chatbots. In der Informationswirtschaft, die sich aus der IKT-Branche, Mediendienstleistern und wissensintensiven Dienstleistern zusammensetzt, sind es sogar 71 Prozent.
Die Umfrage belegt eines ganz klar: Die KI, allen voran ChatGPT, ist gekommen, um am deutschen Arbeitsmarkt zu bleiben. Diese Realität ist in den Köpfen der meisten Unternehmensentscheider, der HR-Verantwortlichen, aber auch der Beschäftigten selbst angekommen.
Arbeitgeber nutzen KI für die Ausschreibungen, Bewerber fürs Anschreiben
Auch am Bewerbungsmarkt ist KI nicht mehr wegzudenken. Einige Unternehmen setzen KI etwa für die datenschutzkonforme Vorfilterung von Bewerbungen oder für die optimale Formulierung einer Stellenbeschreibung ein. Und auch die Bewerber selbst setzen zunehmend auf KI – allen voran für das Anschreiben. Bei mindestens einer von fünf Bewerbungen spielt sie beim Anschreiben eine wichtige Rolle – etwa für den orthografischen Check oder der Suche nach einem besonders stimmigen Einstiegssatz. Das ergab jüngst eine Umfrage der Mediengruppe Haymarket.
„Immer mehr Bewerber sind offen für den Einsatz von KI“, meldete Mitte 2023 auch das HR-Tech-Unternehmen Softgarden. 19 Prozent der interviewten Bewerber haben demnach laut Softgarden bereits künstliche Intelligenz genutzt, um Anschreiben zu schreiben. Weitere 41,6 Prozent können sich vorstellen, dies in Zukunft zu tun.
Ob Bewerbungsanschreiben, Hilfen beim Erstellen von Präsentationen, das automatische Verfassen von Mails oder die Zusammenfassung hunderter Seiten umfassender PDFs in zehn kompakten Bullet-Points in wenigen Sekunden oder Minuten – das große Plus der KI ist ihre unfassbare Geschwindigkeit. Durch die Automatisierung lässt sich immens viel Zeit einsparen – was die Frage impliziert, ob die KI dann nicht gleich den Großteil der Büroarbeiten selbst erledigen könnte. Zu diesem vielfach geäußerten Verdacht hat der Zukunftsforscher Kai Gondlach, Geschäftsführer des Zukunftsforschungsinstituts Profore mit Sitz in Leipzig, eine ganz klare Meinung. „Natürlich kann künstliche Intelligenz viele Aufgaben besser, schneller, kostengünstiger erledigen. Doch das heißt noch lange nicht, dass ganze Berufe ersetzt werden – im Gegenteil. Im Saldo entsteht voraussichtlich sogar mehr Bedarf nach neuen Arbeitsplätzen“, sagt der KI- und New Work-Experte. Und er legt nach: „Die Jobs, die in den kommenden Jahren verschwinden, fallen arroganter Unachtsamkeit der Entscheidungsträger in Unternehmen, Politik und Verwaltung zum Opfer, keiner KI.“
Zukunftsforscher Gondlach: „Disruption entsteht nicht durch übermächtige Technologie, sondern Ignoranz“
Wichtig ist es, der KI nicht mit Angst, sondern Offenheit gegenüberzutreten. Dazu gehört aber auch, sich ihrer Schwächen bewusst zu sein. Auch die KI macht Fehler und interpretiert die geforderten Inhalte manchmal falsch. Sie kann nur so gut sein, wie es die Quellen sind, mit denen sie „gefüttert“ wird. Daher wird es auf lange Sicht so bleiben, dass es Menschen braucht, um die Arbeit der KI zu überprüfen, zu veredeln. Wofür Experten wie Kai Gondlach einstehen, ist mehr Wissen und mehr Beschäftigung in Schulen, Universitäten und Unternehmen mit diesem allgegenwärtigen Thema.
„Einfach machen lassen“, aber dabei einen klaren Rahmen setzen, etwa um Mitarbeiter- oder Kundendaten beim Prompten zu schützen, darauf kommt es heute in deutschen Unternehmen an. Gerade in den euphorischen Anfangswochen und -monaten seit dem Start von ChatGPT im November 2022 haben manche Beschäftigte unbewusst Firmeninterna in die Eingabefenster getippt – Fehler, die sich beim nie vergesslichen Web nicht mehr rückgängig machen lassen. Klare Lehre daraus: Unternehmen brauchen einen proaktiven, aber risikobewussten Angang an das Thema. So oder so wird die KI für jede Firma in jeder Branche ein Thema – niemand kann sich der Zukunft verweigern. Das gilt übrigens auch für den Ort, an dem die KI genutzt wird, sagt Kai Gondlach: „Homeoffice war erst der Anfang. Ich bin gespannt auf die Reaktionen der Arbeitgeber, wenn die ersten Angestellten ihr Büro im Metaversum aufschlagen möchten.“